Nachdem ich in den ersten drei Teilen dieser Themenreihe (Teil 1, Teil 2, Teil 3) die Hintergründe, Ursachen und Auswirkungen, die einer entspannten Mahlzeit im Wege stehen können, beleuchtet habe, geht es nun endlich ans Eingemachte.
Hier bekommen Sie ein paar Anregungen, wie Sie einen Kompromiss zwischen dauernden Streitereien und vollständiger Resignation finden können, ohne dabei weder Ihre eigenen noch die Bedürfnisse Ihres Kindes komplett über Bord werfen zu müssen. Ein Versuch lohnt sich!
1) Entspannen Sie sich
Kein Kind verhungert vor einem vollen Teller. Und wenn es heute mal keine Vitamine gibt, gibt’s eben morgen wieder welche. Wer Druck aus der Sache nimmt, bevor die Situation vollends eskaliert, hat eine Chance, die Zügel wieder selbst in die Hand zu bekommen. Anstatt wahllos herumzuexperimentieren und schließlich aufzugeben, hilft vorübergehend schon mal das sprichwörtliche „Zählen bis zehn“… 😉 Was danach folgen könnte, ist Tipp 2.
2) Seien Sie klar
Wenn Sie wissen, was Sie wollen und was Ihnen wichtig ist an der Ernährung Ihrer Familie, wird die Umsetzung automatisch leichter. Kinder gehen nur so weit, bis sie eine KLARE Grenze spüren.
Werden Sie sich in einer ruhigen Minute bewusst, worauf Sie in der Ernährung Ihrer Kinder besonders Wert legen und bestehen Sie auf einen EINZELNEN der vermutlich vielen Punkte. Wenn Sie den umsetzen, ist schon mehr gewonnen, als zuvor. Und wer klar ist, braucht meist viel weniger zu diskutieren – das gilt übrigens für alle Situationen, nicht nur für Mahlzeiten. Wenn der erste Ihrer Punkte ins Familiengeschehen integriert ist und niemand mehr daran zweifelt, dass er eine unumstößliche Regel geworden ist, können Sie immer noch Punkt 2 und 3 Ihrer persönlichen Hitliste einführen.
3) Bleiben Sie standhaft
Wenn Sie z.B. wollen, dass Ihr Kind am Esstisch sitzen bleibt oder von der Mahlzeit probiert, sollten Sie das KONSEQUENT einfordern. Nicht heute mal so, morgen mal anders. Dies ist eigentlich ein Tipp, der zu Tipp 2 gehört, doch er ist so wichtig, dass ich ihn noch einmal gesondert hervorheben möchte. Ihr Kind muss sich darauf verlassen können, dass Ihr Wort Gewicht hat. Sonst wird es sich weiterhin nicht auskennen und versuchen, Ihre Regeln zu umgehen. Die beharrliche Umsetzung Ihrer neuen Ziele wird zu Anfang vielleicht ein bisschen Durchhaltevermögen erfordern, doch je klarer und zielgerichteter Sie sind, umso leichter und schneller wird sie gelingen.
4) Halten Sie die Hauptmahlzeiten ein
Zu einem geregelten Familienalltag gehört auch, dass der Tagesablauf für die Kinder berechenbar ist. Wer den ganzen Tag hier ein paar Bissen und dort ein paar Süßigkeiten bekommt, wird zu den Hauptmahlzeiten vermutlich wenig Hunger haben und vielleicht nicht einmal so genau verstehen, warum sich jetzt alle zum Essen hinsetzen sollen, wo man doch sonst auch mit der Banane in der Hand durchs Wohnzimmer fegen darf. Außerdem ist die Essensmenge, die ein Kind tatsächlich über den Tag verteilt zu sich nimmt, nicht mehr nachvollziehbar. Sie würden sich wundern, was da zusammenkommt, wenn man sich mal die Mühe machen würde, alles zu notieren, was zwischendurch in den Mund geschoben wird. Das soll nicht heißen, dass es keine kleinen Zwischenmahlzeiten mehr geben soll. Aber wie der Name schon sagt, sind das eben „ZWISCHEN-MAHLZEITEN“ – zwischen den Hauptmahlzeiten.
Wenn alle zu Tisch sitzen und jedem seine Portion geschöpft wird, ist die Essensmenge klarer sichtbar und außerdem kann ein gemütliches Familiengespräch stattfinden, ohne dass ständig jemand aufspringt oder herumrennt. Wie Sie das „Aufstehen dürfen“ oder „Sitzenbleiben müssen“ regeln, ist sehr abhängig vom Temperament Ihres Kindes und ich möchte an dieser Stelle keine Pauschalempfehlung aussprechen. Doch selbst wenn Ihr Kind nicht die Ausdauer hat, bis zum Ende durchzuhalten, finde ich es wichtig, dass eine Mahlzeit einen Anfang und EIN KLARES ENDE hat. Daher mein Vorschlag: Wenn gegessen wird, wird gegessen. Wenn das Kind zum Spielen aufsteht möchte, ist die Mahlzeit beendet und es gibt nicht in ein paar Minuten wieder einen Bissen nachgeschoben. Gut möglich, dass dies zum Eingewöhnen ein Weilchen anstrengend wird. Doch ich versichere Ihnen: Es lohnt sich!
5) Lassen Sie Ihr Kind probieren
Auch wenn die erste Reaktion auf die angebotenen Speisen ablehnend ist, rate ich Ihnen, darauf zu bestehen, dass Ihr Kind dennoch zumindest probiert, bevor es seine Alternativmahlzeit bekommt. Und zwar immer wieder. Wie in Teil 2 beschrieben, bildet sich unser Geschmackssinn erst nach und nach vollständig aus. Nutzen Sie diesen Umstand zu Ihrem Vorteil. Wenn Ihr Kind immer probieren muss, dann lernt es die verschiedenen Geschmäcker wenigstens auseinanderzuhalten und die Chance steigt, dass die eine oder andere Speise dennoch irgendwann zu den Lieblingsspeisen hinzukommt. Auch wenn das heute natürlich völlig unvorstellbar ist! 😉
6) Jubeln Sie nichts unter und bestechen Sie nicht
Natürlich kann mal mehr Karotte oder Sellerie in der Sauce Bolognese sein und damit der Gemüseanteil gesteigert werden, aber verkaufen Sie Ihrem Kind keine Zutat als etwas, das sie nicht ist. Wenn Gemüse auf dem Teller liegt, liegt Gemüse auf dem Teller. Da gibt es nichts schönzureden. So wird den Kindern auch ein gewisser Respekt vor unserer Nahrung vermittelt.
Das gefällt mir persönlich sehr gut! Ich rate auch davor ab, Ihr Kind zu bestechen nach dem Motto: Wenn du den Salat isst, bekommst du nachher Schokolade. Entweder es mag jetzt Salat, oder eben nicht. Das Lockmittel wird somit nur noch mehr in den Fokus gerückt und erscheint plötzlich deutlich attraktiver als noch zuvor. Was dabei rauskommt, wenn über Essen getröstet oder belohnt wird, kann man im Freibad an Hüften und Popos sehen. Das sind genau die fiesen 5 extra Kilos, die einfach nicht weggehen wollen. Wer als Kind durch Essen belohnt wird, belohnt sich auch später weiterhin darüber. Das ist keine optimale Problemlösestrategie und ein schlechter Ratgeber in Zeiten der Not!
7) Machen Sie keine Extrawurst
Wenn Ihr Kind die angebotene Mahlzeit ablehnt, versuchen Sie einmal, sich nicht auf Diskussionen über ein extra Angebot einzulassen. Sie haben Besseres zu tun, als doppelt zu kochen! Bieten Sie Ihrem Kind stattdessen evtl. etwas an, das es gerne hat und womit Sie aus gesundheitlichen Gründen auch noch einverstanden sein können. Wenn Ihr Kind Milch liebt, bekommt es eben statt der Hauptmahlzeit ein Glas Milch zu trinken. Das sättigt auch ungemein und kann schon mal als Mahlzeit durchgehen. Oder es liebt Süßes? Dann bekommt es einen Apfel oder eine Banane zu essen. Beim Abendessen ist dann vielleicht schon wieder etwas dabei, was Ihr Kind gern hat und so wird seine Ernährung nicht einseitig. Wenn es erstmal an das Alternativangebot gewöhnt ist und weiß, dass daran kein Weg vorbeiführt, ist es womöglich auch wieder zu Kompromissen bereit, was die gekochte Mahlzeit angeht. Und es wird dennoch in seinen Vorlieben ernstgenommen, anstatt gezwungen zu werden, etwas zu essen, was es im Augenblick ablehnt. Das nimmt ungemein Druck aus solchen Konfliktsituationen. Außerdem finde ich es wichtig, dass es dennoch am Esstisch sitzen bleibt, bis die Familienmahlzeit vorüber ist – je nachdem, wie die Regeln auch sonst in Ihrer Familie gelten. So bekommt die Alternativmahlzeit einen größeren Stellenwert und es bleibt mehr Ruhe am Tisch.
8) Probleme gehören nicht an den Esstisch
Wenn Ihr Kind Schwierigkeiten in der Schule hat oder schon wieder nicht gemacht hat, was Sie von ihm verlangt haben, dann besprechen Sie das bitte außerhalb der Mahlzeiten. Essen soll lustvoll sein und Spaß machen. Wenn sich Ihr Kind schon vor jeder Mahlzeit graut, weil es weiß, dass es wieder Schelte bekommen könnte, wird ihm vermutlich der Appetit vergehen. Und Ihnen selbst vermutlich auch. Essen soll bewusst und lustvoll erlebt werden können. Nur so kann es mit positiven Gefühlen verknüpft werden. Statt schlechte Stimmung aufkommen zu lassen, machen wir daraus doch lieber ein Fest der Sinne!
9) Fangen Sie früh an
Je früher Ihre Kinder an eine abwechslungsreiche Ernährung gewöhnt werden, desto unkomplizierter wird die Auswahl des Familienmenüplans auf lange Sicht. Und Diskussionen darüber kommen gar nicht erst in großem Ausmaß auf.
10) Führen Sie Ihr Kind an die Vielfalt der Lebensmittel heran
Wer nur einmal zu quengeln braucht, um nie mehr Spinat essen zu müssen, wird die Vielfalt an unterschiedlichen Geschmäckern nur schwer für sich erobern können. Bleiben Sie dran, versuchen Sie es immer wieder und nehmen Sie auch das eine oder andere verzerrte Gesicht Ihres Lieblings in Kauf. Auf lange Sicht lohnt es sich, wenn Ihr Kind den Geschmack einer frischen Karotte kennt und nicht glaubt, seine Lebensmittel wachsen im Kühlregal. Womit wir schon bei Punkt 11 wären.
11) Gehen Sie an die Quelle
Zeigen Sie Ihrem Kind, wo das Essen herkommt. Wie wäre es mit einem Besuch im Erdbeerland? Mit einem liebevoll gemeinsam gepflegten Gemüsegärtchen? Urlaub auf dem Bauernhof? Allein schon angesäte Kräuter im Topf steigern die natürliche Neugier der Kinder. Wann kommen die ersten zarten grünen Spitzen aus der Erde? Wie werden die Blätter aussehen? Und wie schmecken sie dann wohl auf meinem Butterbrot? So können neue Geschmackserfahrungen gemacht werden und die Kinder erleben gleichzeitig ein kleines Abenteuer. Oder nehmen Sie Ihr Kind mit zum Einkauf und lassen ihm an der Gemüsetheke freien Lauf. Sie werden erstaunt sein, was für Ergebnisse Sie damit erzielen können.
12) Werden Sie spielerisch
Warum denken Sie sich nicht gemeinsam Spiele aus? Z.B. können Sie Ihr Kind zwei Zutaten aus einem Angebot auswählen lassen, aus denen Sie dann gemeinsam ein leckeres Gericht erfinden. Ihrer Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Oder wissen Ihre Kinder schon, dass man Rapunzel essen kann? Oder warum Aschenputtel die Linsen sortieren musste? Und warum schläft die Prinzessin eigentlich auf einer Erbse? Kinder lieben Geschichten und Spiele! Das Argument, dass etwas gesund für sie sei und sie es darum essen sollen, finden sie hingegen so reizvoll, wie eine Woche Regenwetter.
13) Kochen Sie gemeinsam
Wenn Ihre Kinder in der Küche mithelfen dürfen, dann dauert alles zugegebenermaßen länger und die Küche sieht danach vermutlich aus wie ein Schlachtfeld. Doch gleichzeitig erleben sie so viele neue, spannende Eindrücke – sie dürfen alle Zutaten mit den Händen kennenlernen, können sehen wie sich die Zucchini verändert, wenn sie gebraten wird, riechen den Duft der Lasagne im Ofen, hören das leise Brutzeln in der Pfanne, lachen sich krumm über das „Blubb“ im Spinat….und wie viel Spaß man erst mit einer Salatschleuder haben kann! Über das „Begreifen“ werden alle Sinne angesprochen und das löst Begeisterungsstürme im kindlichen Gehirn aus. So wird ohne Worte gelernt, erfahren, verinnerlicht. Und was einmal mit positiven Gefühlen besetzt ist, bleibt uns auch positiv in Erinnerung. Die Lust auf neue Zutaten kommt dabei wie von selbst. Das ist geschenkte Qualitätszeit mit Ihren Kindern, die Ihnen niemand mehr wegnehmen kann. So werden glückliche Kindheiten gemacht. Und übrigens: dauernde Diskussionen um Essenswünsche brauchen auch viel Zeit und wahrscheinlich noch viel mehr Energie. 😉
14) Finden Sie Kompromisse
Ihr Kind liebt Süßspeisen? Dann lassen Sie es doch z.B. jeden zweiten Mittwoch entscheiden, was es zu essen geben soll. So fühlt es sich einbezogen und ernstgenommen, seine Bedürfnisse werden respektiert und es fällt ihm vielleicht leichter, in der Zwischenzeit Ihre eigenen Menüvorschläge akzeptieren zu können. Oder versuchen Sie, die Lebensmittel, die Ihr Kind bevorzugt, in Ihre Küche einzubauen, ohne dabei einseitig zu werden. Gegenseitiger Respekt ist auch beim Essen wichtig. So geben Sie außerdem ein gutes Beispiel.
15) Werden Sie berechenbar
Dies ist wohl einer der wichtigsten Tipps, den ich Ihnen geben kann. Gehören Sie zu den kreativen Köchinnen, die gerne neue Rezepte ausprobieren oder dem Curry heute mal einen besonderen Pfiff geben wollen? Heute so, morgen anders und nächstes Mal süß-sauer? Oder die den Kühlschrank aufmachen und sich sagen: Heute gibt’s Auflauf quer durch die Gemüselade? Und auch der fällt naturgemäß jedes Mal anders aus. Oft liegt es nicht an der Zutat an sich, dass Kinder sich weigern, eine Speise zu essen, sondern daran, dass diese Zutat jedes Mal anders dargereicht wird.
Haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass Ihr Kind bei Oma alles isst, was es bei Ihnen ablehnt? Das könnte daran liegen, dass bei Oma meist Gerichte gekocht werden, die einen „Namen“ haben und dann auch immer gleich schmecken. Spinatomelette oder Käsespätzle mit Salat schmecken bei Oma immer gleich. Darauf kann man sich verlassen. Da geht man kein Risiko ein. Frustrierend, nicht wahr?
Aber denken Sie sich mal in Ihr Kind hinein: die Lebensmittel wollen in ihrem Geschmack und ihrer Konsistenz erst erlebt und für sich erobert werden. Das kann ganz schön anstrengend sein. Wenn dann noch eine unberechenbare Komponente dazukommt, bleiben viele Kinder doch lieber auf der sicheren Seite, die sie schon kennen und die sich bewährt hat. Vielleicht kennen Sie ein paar Lieblingsgerichte Ihrer Kinder, die Sie am besten nur noch sehr wenig variieren. Die können Sie quer durch Ihren Menüplan streuen. Dann kann an den anderen Tagen auch mal wieder der Kreativität freien Lauf gelassen werden. Und wer weiß? Vielleicht sind Omas Rezepte ja auch für Ihre Küche eine Bereicherung?
Diese Tipps können Sie als Anregungen verstehen. Als bunten Strauß, aus dem Sie sich die schönsten Blumen picken. Die, die am besten zu Ihnen und Ihrer Familie passen. Sie können sie auch der Reihe nach „abarbeiten“, wenn Sie wollen.
Bitte denken Sie aber immer wieder daran: Essen soll LUSTVOLL sein! Eine gute Atmosphäre bringt mehr, als ein zusätzliches Salatblatt, das wir unseren Kindern hineinzwingen. UND: Unser Körper ist der Kapitän und zeigt uns, wo die Reise hingeht. Vertrauen Sie darauf, dass das Chemielabor Ihres Kindes gut funktioniert. Dann fällt es leichter, respektvoll und einfühlsam aufeinander zuzugehen. Und Sie können Ihre Mahlzeiten endlich wieder entspannt und in Ruhe genießen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit! 🙂
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Teil 3: Worüber wird bei den Mahlzeiten am häufigsten diskutiert und warum?