Die gute Nachricht: In Teil 4 gebe ich Ihnen 15 Tipps, die gelingen können.
Doch zuvor möchte ich gerne noch den Unterschied hervorheben zwischen den Vorlieben, die von innen heraus kommen und denen, die antrainiert sind – und vermutlich auch mehr Konflikte an den Mittagstisch bringen, als die anderen. Genau dieses Verständnis kann nämlich für eine passende Konfliktlösung bedeutend sein.
Wenn Ihr Kind also z.B. fast nur noch auf Spaghetti mit Tomatensoße besteht und kaum etwas anderes auf dem Mittagstisch akzeptiert oder einen hysterischen Anfall bekommt, wenn es keine Milchschnitte zum Frühstück bekommt, dann sollten wir vielleicht einmal hinter die Kulissen schauen:
Äußere Einflüsse
Die Essgewohnheiten unserer Kinder werden durch viele Einflüsse geprägt. Ich nenne sie nun absichtlich „Gewohnheiten“, um hier den klaren Schnitt zu den inneren Vorlieben und Abneigungen zu machen, die uns unser Chemielabor vorgibt (siehe Teil 1). Eine Gewohnheit ist antrainiert, abgeschaut und/oder von außen beeinflusst.
Da stellen sich Fragen wie die folgenden:
Wie sind die Familiengewohnheiten? Worauf wird Wert gelegt? Wird frisch gekocht? Oder gibt es auch mal Fertiggerichte, weil sie einfach praktisch sind?
Und was passiert außerhalb des Familienverbands? In Kindergarten, Schule, den Medien?
Auch schon zu meiner Grundschulzeit galt als cool, wer das „beste“ Pausenbrot dabei hatte. Gegen die Salzbrezeln, Zimtschnecken oder Wurstsemmeln meiner Schulkolleginnen konnte ich mit meinem Käsebrot und dem Holundersirup einfach nicht anstinken.
Und heute liegt die Latte noch höher: Fruchtzwerge, Paprikachips, Gummibärchen. Ich habe viele Jahre an Schulen gearbeitet und mich auf dem Schulhof oft gewundert, was da alles zum Vorschein kam. Mit natürlich angelegten Vorlieben hat das selbstverständlich nichts mehr zu tun! Denn selbst wenn ein Kind z.B. ein ausgeprägtes Verlangen nach Schokolade an den Tag legt – KEIN Kind dieser Welt wird mit einem Geschmackssinn geboren, der nichts anderes als Süßigkeiten toleriert.
Da sprechen auch noch Werbung und Gruppendruck ein entscheidendes Wörtchen mit. Schließlich sollen Milchschnitten ja nicht nur lecker, sondern auch BESONDERS gesund sein! Und ohne Traubenzucker darf man laut Werbebotschaft als verantwortungsvolle Eltern sein Kind ohnehin nicht mehr zum Lernen schicken.
Wie sich unser Geschmackssinn entwickelt und was ihn dabei stört
Babys kommen mit einem weitgehend funktionstüchtigen Geschmackssinn zur Welt (außer salzig). Die differenzierte Wahrnehmung verschiedener Geschmäcker wird allerdings erst im Lauf der Zeit erworben. Sie ist abhängig von der Vielseitigkeit des Angebots und der Häufigkeit, wie oft ein und dasselbe Lebensmittel angeboten wird.
Das heißt also im Klartext: Babys können schon fast alles schmecken (sie lieben kulturübergreifend aber süß und lehnen bitter ab), doch sie können diese Empfindungen noch nicht richtig einordnen und sind daher neuen Geschmacksrichtungen gegenüber vorsichtig eingestellt. Wenn ihnen etwas suspekt ist, wird es lieber noch einmal ausgespuckt.
Wird derselbe Geschmack jedoch immer wieder angeboten, gewöhnt sich das Kind daran und stuft diesen Geschmack als ungefährlich und verträglich ein, sofern das Nahrungsmittel tatsächlich von seinem Organismus toleriert wird. Nicht jedes Kind verträgt z.B. Milch, egal ob sie ihm schmeckt oder nicht.
Prof. Dr. Berthold Koletzko von der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) beschreibt es treffend: „Wir essen nicht das, was uns schmeckt, sondern uns schmeckt das, was wir regelmäßig essen!“
Wer also will, dass sein Kind abwechslungsreich isst, ist gut beraten, schon von klein auf ein breitgefächertes Angebot zu machen, ohne sich vom einen oder anderen Rückschlag entmutigen zu lassen. Also nur die Ruhe, wenn der Spinat schon wieder an der Wand klebt. Beim nächsten Mal klappt’s ja vielleicht schon.
Und noch etwas: Wussten Sie, dass sich unser Geschmackssinn schon im Mutterleib entwickelt? Wer sich also bereits in der Schwangerschaft und während der Stillzeit abwechslungsreich ernährt, läuft weniger Gefahr, erst später sein Kind von einem vielfältigen Menüplan überzeugen zu müssen.
Woher kommt es dann also, dass immer weniger Kinder zwischen den Grundgeschmacksrichtungen süß, salzig, sauer und bitter unterscheiden können?
Laut einer AMA-Studie aus dem Jahr 2008 können drei Viertel aller Kinder zwischen 10 und 13 Jahren die Grundgeschmacksrichtungen nicht mehr korrekt einordnen. Und dabei scheint es deutliche Unterschiede zwischen Land- und Stadtkindern zu geben:
„Obst und Gemüse beflügeln scheinbar Geschmacks- und Geruchsfähigkeiten. Kinder aus ländlichen Regionen essen im Verhältnis zu Stadtkindern weit weniger Weißbrot, dafür mehr Misch- bzw. Vollkornbrot, sie trinken weniger stark gesüßte Getränke und essen seltener Schnellimbisse. Landkinder waren deutlich besser in der Lage, Gerüche zu erkennen als Stadtkinder. (…) Nur beim Geruchstest gab es ein klar einheitliches Ergebnis über alle Herkünfte hinaus.
Je höher der Obst- und Gemüsekonsum der Kinder war, umso besser waren die olfaktorischen Leistungen. (…) SchülerInnen wiederum, die angaben, häufig oder ausschließlich Schnellimbiss- und Fertiggerichte zu konsumieren, erzielten signifikant schlechtere Wahrnehmungsergebnisse bei Geruch und Geschmack als jene, die so gut wie nie zu Schnellimbissen greifen.“
Frische, abwechslungsreiche Kost hingegen scheint die differenzierte Entwicklung des Geschmackssinns zu unterstützen.
Und wozu brauchen wir nun einen ausgeprägten Geschmackssinn?
Stellen Sie sich vor, jemand stellt einen Teller mit einer undefinierbaren Speise vor Sie hin und fordert Sie auf, das zu essen. Sie kennen den Geruch nicht, Sie kennen die Konsistenz nicht, Sie kennen den Geschmack nicht.
Wie werden Sie sich fühlen? Wie werden Sie reagieren? Vermutlich werden Sie zuerst sehr vorsichtig sein und das neue Gericht möglicherweise auch erst mal ablehnen. (Ich stelle mir zu diesem Zweck gerne frittierte Heuschrecken vor – mein Albtraum bei einer möglichen Chinareise. 😉 )
Stellen Sie sich nun vor, es gibt ausschließlich nur noch solche undefinierbaren Speisen zu essen. Vielleicht reagieren Sie dann auch irgendwann einmal trotzig und wütend, weil Sie frustriert sind?
Wenn Ihr Kind nicht an die Vielfalt der Speisen von Anfang an herangeführt wurde und sie immer wieder angeboten bekommen hat, wird vieles, was für Sie ganz alltäglich ist, für Ihr Kind trotzdem fremd und ungewohnt sein.
Geben Sie sich und Ihrem Kind Raum, sich auf Neues einzulassen. Behutsam, Schritt für Schritt.
Instinkt versus äußere Einflüsse – zwei spannende Fälle
Wo liegt denn nun die Grenze zwischen unseren natürlichen Vorlieben, die uns unser „Chemielabor“ vorgibt und dem anerzogenen Verhalten, das durch Familiengewohnheiten, Freunde, die Medien usw. beeinflusst ist?
Also auch wenn ich in Teil 1 meinte, Ihr Kind wisse, was es braucht und wenn es z.B. Süßigkeiten verlangt, dann habe dies einen guten Grund, so möchte ich das gerne folgendermaßen verstanden wissen: Bei einem reichhaltigen und abwechslungsreichen Angebot, aus dem das Kind auswählen kann, sucht es sich mit großer Wahrscheinlichkeit die Nahrungsmittel heraus, die ihm am besten bekommen. Und die verlangt es dann, solange sie gut für ihn sind. Für die homöopathische Behandlung sind dies wichtige Hinweise.
Ich erinnere mich an den Fall eines 3-jährigen Jungen, der große Lust auf Eier hatte. Sein Körper brauchte sie, sie waren sein Lieblingsnahrungsmittel. Er mochte aber auch fast alles andere, was auf den Tisch kam. Als er eines Tages Fieber bekam, wachte er sogar nachts auf und bestand darauf, dass ihm seine Mutter Eier briet. Er war damit beschäftigt, die Erkrankung zu bekämpfen und daher brauchte er noch mehr von dem, was sein Körper auch sonst schon verlangte, um reibungslos zu funktionieren. Als das Fieber wieder gesunken war, nahm er wieder wie gewohnt an allen Familienmahlzeiten teil.
Als der Junge schließlich ca. 5 Jahre alt war, ließ seine Vorliebe für Eier plötzlich nach. Er brauchte sie nicht mehr. An seinem Essverhalten war keine besonders ausgeprägte Richtung mehr zu erkennen, außer dass ihm bei Zucchini wirklich übel wurde. Was war passiert? Die Eier hatten ihn eine Zeit lang bei seiner Entwicklung unterstützt. Irgendwann war sein Bedarf jedoch gedeckt. Sein Organismus hatte sich weiterentwickelt. Hinzu kam, dass seine Eltern sich zu jener Zeit getrennt hatten und er sehr darunter litt. Er bekam regelmäßig Kopfschmerzen. Und schon herrschten wieder neue Bedingungen in seinem Chemielabor, die Aufschluss für die weitere Verordnung gaben.
Oder ein weiterer Fall: Ein Mann hatte vor vielen Jahren einen schweren Brandunfall. Er überlebte nur mit knapper Not und ein großer Teil seines Körpers wies Narben und Verwachsungen auf. Die heftigen Schmerzen wurden trotz verschiedenster Therapien über all die Jahre nicht besser und er hatte dadurch schwere Schlafstörungen. Neben anderen Symptomen war auffällig, dass er große Lust auf kalte Milch hatte, die so stark ausgeprägt war, dass er jeden Tag einen ganzen Liter Milch direkt aus dem Kühlschrank trank. Dies gab den entscheidenden Hinweis, welches Mittel ihm helfen könnte. Sein Schlaf wurde unmittelbar nach der Einnahme des passenden homöopathischen Mittels deutlich besser, er konnte endlich wieder durchschlafen und auch die Schmerzen nahmen nach einiger Zeit ab.
Eine natürliche Vorliebe zu haben heißt also nicht automatisch, nur noch auf dieses Lebensmittel zu bestehen. Es heißt vielmehr, dass man zwar gesteigerte Lust darauf hat, aber auch gut mit anderen Gerichten leben und sich an einer Vielfalt von Speisen erfreuen kann. Nehmen wir diese Vorlieben wahr und erkennen wir sie als wichtig an. Das muss ja noch lange nicht heißen, dass sie den kompletten Menüplan dominieren.
In Teil 3 zeige ich Ihnen die häufigsten Konfliktpunkte und ihre Gründe – als Sprungbrett in die Lösung.
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Teil 3: Worüber wird bei den Mahlzeiten am häufigsten diskutiert und warum?
Teil 4: Die wichtigsten 15 Tipps, wie wieder Lust und Freude an den Esstisch kommen