Homöopathische Komplexmittel und was sie mit uns machen

Homöopathische Komplexmittel erfreuen sich steigender Beliebtheit. Sie scheinen die ideale, einfache und sorglose Lösung für verschiedenste Probleme zu bieten. Von Zahnungsschwierigkeiten über Schlafstörungen, Heuschnupfen oder Kopfschmerzen bis hin zu Husten, Schnupfen, Heiserkeit gibt es unterschiedlichste Präparate, die oft über längere Zeit mehrmals täglich eingenommen werden.

Klingt doch ganz praktisch. Warum sind sie es dann aber wert, genauer unter die Lupe genommen zu werden?

Dafür muss ich etwas weiter ausholen und ein paar homöopathische Grundbegriffe klären. Das homöopathische Prinzip (=Ähnlichkeitsprinzip) besagt nämlich, dass „Ähnliches mit Ähnlichem“ zu heilen ist. Was heißt das genau?

 

Was ist das Ähnlichkeitsprinzip?

Es heißt, dass eine homöopathisch aufbereitete Ausgangssubstanz in der Lage ist, die Symptome zu heilen, die sie bei mehrmaliger Einnahme bei gesunden Menschen erzeugen kann. Als Beispiel: Der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, machte einen Selbstversuch mit Chinarinde, die zur damaligen Zeit gegen Malaria eingesetzt wurde. Er nahm sie als gesunder Mensch über einen gewissen Zeitraum ein und entwickelte dabei Symptome, wie sie für die Malaria bekannt sind, obwohl er sich nicht mit Malaria infiziert hatte. Das wunderte ihn, da die Chinarinde ja GEGEN Malaria wirken sollte. Und jetzt war sie für genau diese Symptome verantwortlich? Von diesem Selbstversuch (und vielen danach folgenden Versuchen und Beobachtungen) leitete er das Ähnlichkeitsprinzip ab. Ähnliches hat die Fähigkeit, Ähnliches zu heilen – und die Homöopathie war geboren.

Aber was hat das mit homöopathischen Komplexmitteln zu tun?
Dazu muss man verstehen, was homöopathische Komplexmittel von homöopathischen Einzelmitteln unterscheidet.

 

Was sind homöopathische Einzelmittel?

Ein homöopathisches Einzelmittel ist ein Mittel, das aus einer einzelnen Ausgangssubstanz wie z.B. Chinarinde (siehe oben) über ein spezielles Herstellungsverfahren gewonnen wird. Dieses Mittel kommt dann nur und ausschließlich bei jenen Patienten zur Anwendung, die Symptome aufweisen, welche das Mittel (gemäß Ähnlichkeitsprinzip) sowohl produzieren als auch heilen kann.

Darum sind bei homöopathischen Fallaufnahmen so detaillierte Befragungen notwendig. Denn es muss festgehalten werden, welche Symptome genau vorliegen. Im Anschluss werden alle homöopathischen Substanzen, welche die Kombination dieser Symptome als Heilpotenzial aufweisen, miteinander verglichen, differenziert und ausgeschlossen, bis am Schluss bestenfalls ein einzelnes Mittel übrig bleibt, das so genau wie möglich zur derzeitigen Situation des Patienten passt.

Das ist auch der Grund, warum nicht jede Krankheit nur ein einzelnes Mittel für alle Patienten zur Heilung benötigen kann. Der Kopfschmerz meines Kindes kann nämlich ganz anders sein, als der Kopfschmerz meines Nachbarn. Und daher brauchen Kind und Nachbar höchstwahrscheinlich zwei unterschiedliche Arzneimittel, damit sich ihre Symptome verbessern. Anders als in der Schulmedizin kann man nicht allein anhand des Krankheitsnamens (in diesem Fall Kopfschmerzen) ein passendes Mittel finden, sondern anhand der individuellen Zeichen, die der Organismus des Patienten aufweist.

Ist der Kopfschmerz meines Kindes vielleicht besonders bei Schulstress am stärksten und lässt er sich mit Ruhe und Wärme lindern, so braucht mein Kind ein anderes Mittel als mein Nachbar, dessen Kopfschmerz immer bei kaltem Wind auftritt, Übelkeit hervorruft und eine Verbesserung durch Kaffee zeigt. Zweimal Kopfschmerzen, zwei verschiedene Symptomenbilder, zwei verschiedene Mittel. So funktioniert das Ähnlichkeitsprinzip.

Woher kennt man nun aber das Heilungspotenzial dieser vielen verschiedenen Mittel? Wie weiß man, welche Ausgangssubstanz in homöopathischer Form welche Symptome produzieren und heilen kann?
Dazu muss ich etwas über homöopathische Arzneimittelprüfungen erzählen.

 

Was ist eine homöopathische Arzneimittelprüfung?

Um herauszufinden, welches Heilpotenzial die unterschiedlichen homöopathischen Mittel haben, wurden (und werden noch immer) genau definierte Tests an Gruppen gesunder Menschen gemacht. Diese müssen nach einem gewissen Einnahmeplan die Mittel anwenden und regelmäßig aufzeichnen, welche Veränderungen sich im Laufe der Zeit zeigen. Wir erinnern uns: Hahnemann bekam von Chinarinde Symptome wie bei einer Malaria.

Jedes andere Mittel erzeugt seine eigenen, besonderen Symptome, die so detailliert wie möglich erfasst werden. Meist zeigen sich bei allen oder vielen der Teilnehmer einer solchen Arzneimittelprüfung ähnliche Symptome, da sie ja von dem Mittel kommen. Somit stammen sie nicht von den Testpersonen selbst, sondern von ihrer Reaktion auf die Einnahme des Mittels. Das sind sogenannte Prüfungssymptome.

Diese Symptome werden gesammelt und schon zeigt sich das Heilpotenzial eines Mittels. Wenn so ein Mittel dann an Patienten mit genau solchen Symptomen zur Anwendung kommt, und diese Symptome verschwinden, ist bestätigt, dass das Mittel eben dieses Heilpotenzial hat. Häufig verschwinden damit sogar noch weitere Symptome, die über die Aufzeichnungen einer Arzneimittelprüfung hinausgehen. Wenn das der Fall ist und sich vermehrt zeigt, können auch diese zusätzlichen Symptome als Teil des Heilpotenzials dieses Mittels angesehen werden. Diese zusammengetragen und allen zur Verfügung gestellten Erfahrungen vervollständigen die Arzneimittelbilder mit der Zeit.

Und was hat das jetzt mit homöopathischen Komplexmitteln zu tun?

 

Was sind homöopathische Komplexmittel?

Da haben sich ein paar schlaue Köpfe Gedanken gemacht und fanden, dass eine Abkürzung ganz sinnvoll wäre. Sie wollten, dass allen Patienten dasselbe Präparat hilft. Keine langen Fallaufnahmen mehr, keine individuelle Mittelsuche. Praktisch! Doch nur auf den ersten Blick.

Homöopathische Komplexmittel werden nämlich aus mehreren Einzelmitteln zusammengemischt und so dem Patienten verabreicht. Das heißt beim Beispiel Kopfschmerzen: Fünf verschiedene Einzelmittel, die unter anderem Kopfschmerzen in ihrem Heilungspotenzial haben,  zu einem einzigen Mittel vermischt, sollen nun für alle unterschiedlichen Kopfschmerzen hilfreich sein.

 

Warum ist das nicht gut?

Finde den Fehler: Diese Komponenten des Komplexmittels sind zwar einzeln geprüft, aber es ist nicht absehbar, welche Wirkung sie in Kombination haben. Außerdem sind es nur fünf Mittel. Ich habe in meinem Repertorium (= Sammlung von Symptomen und den dafür in Frage kommenden Mitteln) nachgeschaut. Für Kopfschmerzen kommen 762 homöopathische Einzelmittel in Betracht. Wie hoch denken Sie, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ALLE Kopfschmerzpatienten genau eines dieser fünf zusammengemischten Mittel benötigen, wo doch noch weitere 757 Mittel für Kopfschmerzen zuständig sein können?

Und selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass das passende Mittel dabei wäre – woher soll man wissen, welches der fünf Mittel nun geholfen hat? Und was machen die anderen vier mit hineingemischten Mittel mit unserem Organismus? Wer kann die Wechselwirkungen der Mittel untereinander sicher bestimmen? Wie sollen außerdem gleichzeitig fünf Mittel für nur einen individuellen Schmerzzustand verantwortlich sein?

Nicht alle Patienten, die unter Kopfschmerzen leiden, befinden sich gerade im gleichen Allgemeinzustand (siehe Beispiel Kind / Nachbar).

Nochmal zur Wiederholung: Homöopathie heißt „Ähnliches mit Ähnlichem“. „Homöopathische Komplexmittel“ sind also ein Widerspruch in sich, da eine Mischung aus mehreren Komponenten nicht einem einzelnen Zustand ähnlich sein kann.

Die Besserung der Symptome ist meist als Unterdrückung zu bewerten. Denn auch mit homöopathischen Mitteln kann man, wenn sie falsch eingesetzt werden, Symptome unterdrücken. Die Symptome sind dann zwar vorübergehend weg, kommen aber in der Regel wieder zurück, sobald man das Mittel absetzt. In etwas unglücklicheren Fällen kommt das ursprüngliche Symptom nicht wieder zurück, sondern es wurde erfolgreich weggedrückt und die gesamte Krankheitssymptomatik auf eine tiefere Ebene verschoben. Ob nun mit schulmedizinischen Medikamenten oder mit homöopathischen Mitteln unterdrückt wird, ist dem Organismus letztendlich ziemlich egal.

 

Prüfungssymptome sind vorprogrammiert

Die Erfahrung zeigt, dass Menschen, die homöopathische Komplexmittel einnehmen, ausgesprochen häufig Prüfungssymptome von Komponenten des Präparats aufweisen. Da diese Arzneien mehrfach eingenommen werden und aus mehreren Mitteln bestehen, ist selbst das Erfassen von Prüfungssymptomen schwierig, weil der ganze Fall verwirrt wird. In unserem Beispiel haben alle der Komponenten mit Kopfschmerzen zu tun. Darum verändern sich vermutlich die Kopfschmerzen auf die eine oder andere Weise. Gleichzeitig werden möglicherweise andere Symptome kommen oder der allgemeine Zustand, der Schlaf, die Energie oder die Emotionen verändern sich.

Mehr hilft nicht mehr!

Häufig beobachte ich, dass Menschen, die von irgendjemand  homöopathische Komplexmittel empfohlen bekommen haben und diese schön brav einnehmen, dann Symptome entwickeln, die sie eigentlich wegbekommen wollten – eben Prüfungssymptome. Um diesen Symptomen dann Herr zu werden, denken sie sich: „Da muss ich wohl noch mehr davon nehmen, um den Zustand besser in den Griff zu bekommen.“  Der Teufelskreis geht weiter. Das ist der schwierigste Teil der Sache.

Nicht selten ist dies auch z.B. bei „Zahnungsglobuli“ zu beobachten. Sie sollen die typischen Beschwerden, die manche Kinder beim Zahnen durchleben, mindern. Dazu gehören z.B. auch Unausgeglichenheit, Zorn und Quengeln. Wie oft werden zuvor ausgeglichene Kinder erst unter Einfluss ihrer Zahnungsglobuli zu kleinen Zornbinkerln! (= österreichisch für kleines, zorniges Kind) Und diese Wesensveränderung wird dann dem Zahnen zugeschrieben und nicht dem eingenommenen Komplexmittel. Statt das Mittel abzusetzen, weil die Prüfungssymptome in voller Blüte sind, setzt man auf die Hoffnung, dass noch mehr eingenommene Globuli diese Symptome zum Verschwinden bringen. Und das Spiel nimmt seinen Lauf. Hier könnten viele unnötige Probleme vermieden werden.

Ich habe vor einiger Zeit sogar mal gehört, dass die vorbeugende Einnahme solcher Präparate Sinn mache, um einen Spiegel im Blut aufzubauen. Doch einen homöopathischen Spiegel im Blut gibt es nicht. Wenn Ähnliches mit Ähnlichem geheilt wird, dann müssen zuerst Symptome bestehen, aufgrund derer man sich für ein Heilmittel entscheiden kann. Wenn ein gesunder Mensch homöopathische Präparate einnimmt, entwickelt er mit großer – sehr großer – Wahrscheinlichkeit die Symptome, die er heilen wollte.

 

Nützt es nicht, so schadet es nicht?

Ich kann Ihnen nur raten, einen großen Bogen um Komplexmittel jeder Art zu machen. Denn der unschuldige Gedanke „Wenn es nichts nützt, so schadet es nichts“, trifft in der Homöopathie leider nicht zu. Alles, was eine Wirkung hat, kann auch unerwünschte Wirkungen zeigen. Abkürzungen sind zwar verlockend und mit einem Navi im Straßenverkehr auch durchaus sinnvoll, doch in Gesundheitsfragen nicht gerade ratsam. Die (unerkannten) Prüfungssymptome und Unterdrückungen können mehr Leid anrichten, als die mögliche Linderung Nutzen bringt.

 

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